Was ist eigentlich Terroir – und was bedeutet es für Spirituosen?

Wer sich intensiv mit Spirituosen beschäftigt, der hat dieses Wort in den letzten Monaten bestimmt schon mal gehört. Terroir, das kommt aus dem Französischen, aus der Welt des Weins und beschreibt grob gesagt die Eigenheiten eines bestimmten Anbaugebiets. Die Nähe zum Wort Terrain kommt also nicht von ungefähr, beides stammt vom lateinischen Terra ab, der Erde.

Übersetzt bedeutet Terroir dann auch so viel wie Heimat, Boden, Gegend, Umwelt, Erde oder Herkunft – je nachdem, wen man fragt. Denn eine echte, deutsche Übersetzung gibt es nicht. Uns genussfremden Preußen fehlt schlicht ein Wort für „Das kommt von da und das schmeckt man auch.“ Macht aber nichts – um sich über Angeber-Vokabeln zu streiten, muss man sie nicht erst übersetzen.

„Schreib Terroir drauf und mach’s drei Euro teurer!“

Dieser eigentlich schöne Begriff beschreibt im französischen Weinbau das sensible Zusammenspiel aus Wetter, Bodenbeschaffenheit, Tag- und Nachtzyklen, Temperaturschwankungen, aus Mikroklima und (je nachdem, wen man fragt) der Handwerkskunst des Winzers. Es ist ein schönes Wort, eines das versucht, die Seele einer Region und (je nachdem, wen man fragt) ihrer Genusskünstler einzufangen.

Es ist aber auch ein Wort, das seelenlose Marketing-Marionetten (der Autor dieses Textes darf das schreiben, er ist selber eine) selbstzufrieden grinsend in die offizielle Beschreibung eines Produktes packen, das mutmaßlich so schmeckt, wie Sachen aus der Heimat des besagten Produktes eben zu schmecken haben. Einfach nur, weil’s geil klingt. Jamaica + Ester = Terroir! Bäm! Rotwein aus Italien + irgendwas mit vielen Tanninen = auch Terroir! Bämbämbäm! Aber ist die Sache wirklich so einfach?

Was bedeutet Terroir wirklich?

In der Weinwelt herrscht eine – und wir drücken das jetzt höflich aus – rege Diskussion darüber, welche Faktoren zum Terroir gehören und ob das Konstrukt nicht einfach nur ganz schrecklicher Mumpitz ist. Wie weit darf man Begriff Terroir fassen? Hat auch ein ganzes Land ein bestimmtes Terroir oder gilt der Begriff nur für Regionen? Streng betrachtet umfasst Terroir jeweils eine Zone mit homogener Geographie und homogenem Klima. Aber nimmt man die Lage und das Handwerk mit hinein, kann man den Begriff kaum über einen einzigen Weinberg oder eine einzelne Zuckerrohr-Plantage hinaus anwenden. 

Aber ist das wirklich schon unterschiedliches Terroir, wenn an zwei Wein-Standorten alle Ausgangskriterien identisch sind, aber ein Weinhügel hat bedingt durch die Lage pro Tag im Schnitt 12 Sonnenminuten mehr? Und falls ja: Ist das wirklich für irgendjemand anderen interessant als für die paar Leute, die sich den Traubensaft beruflich ins Gesicht schütten und an jedem Schluck drei Stunden rumnuckeln? Und falls auch darauf die Antwort „Ja“ lautet: Was bedeutet das alles jetzt für uns Spirituosen-Freunde?

Terroir erleben und feiern

Machen wir einen Schritt zurück. Weg vom Marketing und weg von eng gefassten Begriffsdefinitionen. Einen Schritt zurück zu dieser übertrieben esoterischen Metapher von der Seele einer Region. Denn eigentlich sagt jemand, der guten Gewissens und ohne angeben zu wollen sagt: „Dieser Rum oder Whisky, der hat Terroir.“, dass er in seinem Getränk den Charakter der Herkunfts-Region spürt. Wir schreiben absichtlich nicht „schmeckt“. Denn abgesehen von einigen extremen Ausprägungen ist es oft nur Wunschdenken, dass der normale Genießer jede schottische Whisky-Region und jede Rum-Nation schon am Geruch erkennt. Für Verkostungs-Profis gelten freilich andere Regeln.

Aber nehmen wir als Beispiel einen haitianischen Clairin – ein Destillat aus frischem Zuckerrohrsaft und damit im Prinzip dasselbe wie Rhum Agricole aus Martinique oder Cachaça aus Brasilien. Aber verkostet man drei typische Vertreter dieser Spirituosen-Gruppen gegeneinander, fallen Unterschiede auf. Der Agricole ist meist filigraner, der Cachaça auffallend fruchtig-frisch und der Clairin oft ein euphorischer Tanz aus Ester, Frucht und ein bisschen Asphalt.

All diese Unterschiede sind erkennbar, wenn man sie finden will. Freilich kann nicht jeder sie sofort der entsprechenden Herkunft zuordnen. Aber man erkennt, dass die Produkte sich unterscheiden – und wenn man sich lange genug damit beschäftigt, kann man sie vielleicht irgendwann auch in einer Blindverkostung richtig verorten. Der Grund für diese Unterschiede liegt darin, dass unterschiedlich gearbeitet wurde und darin, dass derselbe Rohstoff an anderen Standorten wuchs. Dass es auch unterschiedliche Arten von Zuckerrohr gibt, lassen wir an der Stelle der Einfachheit halber mal unter den Tisch fallen – ist aber natürlich ebenso ein entscheidender Geschmacks-Faktor.

Terroir stammt nicht immer aus dem Boden

Ein anderes Beispiel: das Team hinter Ron Cihuatan brachte dieses Jahr eine Geschenkbox mit Café Pacas und dem achtjährigen Solera-Rum heraus. Passend, schließlich sind Zuckerrohr und Kaffee die beiden wichtigsten Export-Produkte des zentralamerikanischen Landes. Café Pacas ist ein typischer Kaffee aus El Salvador – dunkel, mit sehr ausgeprägten Bitterschokolade-Noten. Und vor allem geschmacklich sehr nahe am Cihuatan 8 mit seinen starken Schoko- und Kaffeearomen.

Jetzt könnte man im ersten Moment meinen, der Cihuatan hat seine ausgeprägten Kaffee-Einschläge davon, dass das Zuckerrohr sich ja den ganzen lecker Kaffeegeschmack aus dem Boden holt, die Plantagen für die braune Bohne sind ja direkt ums Eck. Aber Pustekuchen: Die Röstaromen, die für dieses Gefühl von Kaffee sorgen, stammen aus dem getoasteten Bourbonfass, in dem der Rum reift. Experten dürfen sich an dieser Stelle streiten, ob man das jetzt „Terroir“ nennen kann, wenn die beiden Produkte aus unterschiedlichen Gründen ähnlich schmecken.

Tatsache ist: Probiert man diese zwei Produkte zusammen, dann schmeckt man El Salvador. Man schmeckt die Eigenheiten dieses Landes; und dann ist eigentlich auch wurscht, ob man das jetzt Eigenheiten nennt oder Charakter oder Terroir. Zumindest solange man bereit ist, hinter die Marketing-Buzzwords zu gucken, Produkte zu hinterfragen – und sie trotzdem zu genießen.

Für alle, die nach einer wortwörtlich bodenständigeren Definition des Begriffs suchen, empfehlen wir übrigens diesen Einblick ins Thema Terroir von Thomas Zilm, Brand Ambassador von Ardbeg und Glenmorangie.  Ein Artikel mit der richtigen Mischung aus großen Gefühlen und harten Fakten. Wie ein guter Whisky. 

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